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Geld leihen: Darlehen oder Erbvorbezug?

Bittet ein Kind die Eltern um einen finanziellen Zustupf, stellt sich für die Eltern oft die Frage, wie das Geld dem Kind übergeben werden soll. Bei der Beantwortung dieser Frage sollten die Eltern auch die Konsequenzen für allfällige weitere Kinder in den künftigen Nachlässen der Eltern nicht ausser Acht lassen.

Darlehen oder Erbvorbezug?

Ein Darlehen muss grundsätzlich zurückbezahlt werden. Die Rückzahlungsmodalitäten können frei vereinbart werden. Auf jeden Fall sollte ein schriftlicher Darlehensvertrag abgeschlossen werden, der die wichtigsten Punkte (wie insbesondere Höhe des Darlehens, Rückzahlungsmodalitäten, Kündigung, allfälliger Darlehenszins und/oder Sicherheit) regelt. Aus steuerlicher Sicht haben die Eltern die Darlehensforderung als Vermögen und allfällige Darlehenszinsen als Einkommen zu versteuern. Das Kind kann das Darlehen steuerlich als Schuld deklarieren und allfällig geleistete Darlehenszinsen vom Einkommen steuerlich in Abzug bringen.

Ein Erbvorbezug hingegen muss nicht zurückgezahlt und kann von den Eltern daher nicht zurückgefordert werden. Der Erbvorbezug ist durch die Eltern und den begünstigten Kindern im Jahr dessen Ausrichtung in den Steuererklärungen zu deklarieren. Die Gewährung von Erbvorbezügen von Eltern an Kinder ist in praktisch allen Kantonen der Schweiz steuerfrei möglich.

Ob die Gewährung eines Darlehens oder eines Erbvorbezuges sinnvoller ist, muss im Einzelfall entschieden werden und ist insbesondere auch von den finanziellen Verhältnissen der Eltern abhängig. Reichen die finanziellen Mittel der Eltern voraussichtlich nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten bis ans Lebensende (also auch nach der Pensionierung), ist ein Darlehen zu bevorzugen. Verfügen die Eltern hingegen über ausreichende finanzielle Mittel, kann ein Erbvorbezug durchaus in Betracht gezogen werden.

Anrechnungspflicht an den Erbanteil

Darlehensforderungen, die ein Elternteil gegenüber einem Kind hat, sind bei der Teilung des Nachlasses des Elternteils (Darlehensgeber) dem Erbanteil des Kindes (Darlehensnehmer) anzurechnen.

Ein Erbvorbezug ist grundsätzlich dem Erbanteil des begünstigten Kindes anzurechnen und somit gegenüber Geschwister auszugleichen. Durch diese Ausgleichungspflicht sollen – so sieht es das Gesetz vor – Kinder gleichbehandelt werden. Die Eltern können (einzelne) Kinder von der Ausgleichungspflicht befreien, wodurch ein Erbvorbezug nicht dem Erbanteil des Kindes anzurechnen ist. Verletzt die Befreiung von der Ausgleichungspflicht allerdings den Pflichtteil eines Kindes, sind ausgerichtete Erbvorbezüge für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche dennoch zu berücksichtigen.

Berechnungsbeispiel

Das nachstehende illustrative und stark vereinfachte Berechnungsbeispiel soll die Auswirkungen eines Darlehens sowie eines Erbvorbezuges mit und ohne Ausgleichungsdispens im späteren Nachlass des Elternteils aufzeigen:

Ausgangslage:
Der Vater (geschieden, ein Sohn und eine Tochter) überwies seinem Sohn im Jahre 1999 einen Betrag von CHF 300’000 (Kontoüberweisung) zum Zwecke des Erwerbs einer Liegenschaft. Der Vater hat keine weiteren Erbvorbezüge oder Schenkungen ausgerichtet. Im Jahre 2024 verstarb der Vater. Bei seinem Ableben besass der Vater «nur» noch über ein Kontovermögen von CHF 200’000. Der Vater hinterliess kein Testament und keinen Erbvertrag, weshalb der Sohn und die Tochter zu gleichen Teilen erben.

Varianten:

a) Der Vater gewährte seinem Sohn ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von CHF 300’000. Das Darlehen wurde bis zum Ableben des Vaters nicht zurückbezahlt.

b) Der Vater überwies seinem Sohn den Betrag von CHF 300’000 als Erbvorbezug.

c) Der Vater überwies seinem Sohn den Betrag von CHF 300’000 als Erbvorbezug und befreite seinen Sohn von der Ausgleichungspflicht.

Variante a: der Nachlass des Vaters setzt sich aus dem Kontovermögen von CHF 200’000 und dem Darlehen von CHF 300’000 zusammen. Der Sohn hat sich das Darlehen von CHF 300’000 an seinen Erbanteil von CHF 250’000 (CHF 500’000 / 2) anzurechnen. Da der Darlehensbetrag den Erbanspruch des Sohnes übersteigt, hat der Sohn seiner Schwester CHF 50’000 auszubezahlen.

Variante b: da der Erbvorbezug nicht von der Ausgleichungspflicht befreit wurde, ist dieser dem Vermögen per Todestag hinzuzurechnen. Die Teilungsmasse beträgt somit CHF 500’000 (CHF 200’000 + CHF 300’000). Der Erbvorbezug von CHF 300’000 hat sich der Sohn an seinen Erbanteil von CHF 250’000 (CHF 500’000 / 2) anzurechnen. Da der Erbvorbezug den Erbanspruch des Sohnes übersteigt, hat der Sohn seiner Schwester CHF 50’000 auszubezahlen.

Variante c: Der Vater befreite seinen Sohn von der Ausgleichungspflicht. Das beim Ableben des Vaters noch vorhandene Kontovermögen ist gemäss Erbquoten (d.h. je zur Hälfte) zwischen den Kindern aufzuteilen. Der Sohn und die Töchter erhalten je CHF 100’000 (CHF 200’000 / 2). Die Tochter hat Anspruch auf ihren Pflichtteil. Für die Berechnung des Pflichtteilanspruches der Tochter ist der nicht ausgleichungspflichtige Erbvorbezug dem Vermögen des Vaters per Todestag hinzuzurechnen. Die Pflichtteilsberechnungsmasse beläuft sich auf CHF 500’000 (CHF 200’000 + CHF 300’000). Der Pflichtteil der Tochter von ¼ beträgt CHF 125’000 (1/4 von CHF 500’000). Der Pflichtteil der Tochter ist um CHF 25’000 verletzt (Pflichtteil = CHF 125’000 vs. ½-Anteil am Vermögen per Todestag = CHF 100’000). Die Tochter kann im Nachlass des Vaters ihren Pflichtteil beanspruchen, wodurch die Tochter CHF 125’000 und der Sohn CHF 75’000 aus dem Nachlass erhält. Unter Berücksichtigung des Erbvorbezuges erhält der Sohn insgesamt CHF 375’000 (CHF 300’000 + CHF 75’000) und die Tochter CHF 125’000.

Die vorstehenden Berechnungsbeispiele zeigen auf, dass Erbvorbezüge an einzelne Kinder – trotz Befreiung von der Ausgleichungspflicht – auf die Ansprüche der Kinder in den künftigen Nachlässen der Eltern Auswirkungen haben können. Bei der Entscheidung, ob der Zustupf an ein Kind in der Form eines Darlehens oder Erbvorbezug (mit oder ohne Ausgleichungspflicht) erfolgen soll, sind daher die Auswirkungen auf allfällige weitere Kinder miteinzubeziehen.

Autorin

Renate Müller
Rechtsanwältin und Notarin

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Renate Müller, Rechtsanwältin und Notarin

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