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Verwandtenunterstützung: Wann ist man gehalten, Verwandte finanziell zu unterstützen?

Wenn die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um den eigenen bzw. den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten und man sich persönlich in einer Notlage befindet, kann man Sozialhilfe beantragen. Entgegen der verbreiteten Meinung wird diese aber nur subsidiär ausgerichtet. Vorab kann von der Sozialhilfebehörde geprüft werden, ob die Verwandtenunterstützung gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB greift.

Die Verwandtenunterstützung kann insbesondere auch im Zusammenhang mit der Gewährung eines Erbvorbezuges und einer lebzeitigen Übertragung von Liegenschaften an die Nachkommen relevant werden. Hierzu wird auch auf den Blogbeitrag Liegenschaftsübertragung und Ergänzungsleistungen: Die Mär von der 5-jährigen Frist – Grunder Rechtsanwälte AG (grunder-law.ch) verwiesen.

Ist die Liegenschaft der Haupt-Vermögenswert und wird diese als Erbvorbezug den Nachkommen übertragen, kann es unter gewissen Voraussetzungen vorkommen, dass der Anspruch des Schenkers auf Ergänzungsleistungen für den Fall, dass er pflegebedürftig wird und die Kosten nicht stemmen kann, vollständig entfällt. Dies, da der Erbvorbezug bei der Berechnung von Ergänzungsleistungen als freiwilliger Vermögensverzicht berücksichtigt wird. Dies führt wiederum dazu, dass das für die Ergänzungsleistungen massgebende Vermögen steigt und die Ausgaben womöglich die Einnahmen übersteigen, was zu einer Ablehnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen führt.

Voraussetzungen der Verwandtenunterstützung

Wird der Anspruch auf Ergänzungsleistungen abgelehnt, bleibt noch die Sozialhilfe. Jedoch wird von den Sozialbehörden vorab geprüft, ob eine Verwandtenunterstützung besteht. Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie (Kinder-Eltern-Grosseltern) zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden.

Das Zivilgesetzbuch (ZGB) definiert indes nicht, was unter «günstigen Verhältnissen» zu verstehen ist. Dabei ist auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung abzustellen, gemäss welcher in günstigen Verhältnissen lebt, wer aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation unter Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen in der Lage ist, einen gehobenen Lebensstandard zu führen. Das Bundesgericht ist in Fällen, bei welchen das monatliche Einkommen deutlich über CHF 10’000 lag, von überdurchschnittlichen Verhältnissen ausgegangen. Es ist neben dem Einkommen und dem anrechenbaren Lebensbedarf auch auf das Vermögen abzustützen. Das Bundesgericht nimmt stets eine Einzelfallbewertung vor. Für die Berechnung und die Beurteilung stellt das Bundesgericht und die Sozialhilfebehörden oftmals auf die Richtlinie der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) ab.

In früheren Richtlinien definierte die SKOS gewisse Einkommensgrenzwerte, wobei eine Verwandtenunterstützung bei Alleinstehenden erst bei einem steuerbaren Einkommen von mehr als CHF 120’000 pro Jahr und bei Verheirateten von mehr als CHF 180’000 pro Jahr in Frage kam. Zudem enthielten die Richtlinien Vermögensfreibeträge, welche entsprechend abgezogen werden konnten (bei Alleinstehenden CHF 250’000 und bei Verheirateten CHF 500’000).

Die aktuellen SKOS-Richtlinien enthalten weder die Einkommensgrenzwerte noch Vermögensfreibeträge. Durch diesen Wegfall der Einkommensgrenzwerte und Vermögensfreibeträgen steht den Behörden somit grösseres Entscheidermessen zu, wann sie eine mögliche Inanspruchnahme von Verwandten prüfen möchten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die früheren SKOS-Richtlinien als Orientierungshilfe herangezogen werden, um den Anspruch auf Verwandtenunterstützung zu prüfen.

Sie haben Fragen zur Übertragung von Liegenschaften an die Nachkommen und die Verwandtenunterstützungspflicht? Wir sind gerne für Sie da.

Autorin

Larissa Kälin
Rechtsanwältin und Notarin

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Larissa Kälin, Rechtsanwältin und Notarin

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